bpt informiert über Tierärztemangel und Notdienstproblematik auf der Grünen Woche

Dr S. Moder bei der Eröffnung der 
Podiumsdiskussion zum Thema Notdienstproblematik 
und Tierärztemangel auf der IGW 2020 in Berlin

Im Rahmen der Grünen Woche in Berlin hat der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) auch in diesem Jahr wieder eine Podiumsdiskussion auf dem ErlebnisBauernhof veranstaltet. In diesem Jahr lautete das Thema „Notdienst / Tierärztemangel – Was ist jetzt zu tun?“, da dieser bislang vor allem die ländlichen Regionen und die Nutztiere betrifft und sich trotz unterschiedlicher Bemühungen weiter zu verschärfen scheint.

An der Podiumsdiskussion am 23. Januar 2020 nahmen teil Dr. Siegfried Moder, der Präsident des bpt, Dr. Holger Vogel, Präsident des Bundesverbands der beamteten Tierärzte (BbT), Dr. Iris Fuchs, Amtstierärztin aus Bayreuth sowie 1. Vizevorsitzende der Bundestierärztekammer (BTK), Nina Küke, Gemischtpraktikerin aus Mecklenburg- Vorpommern, Lisa Dahlmann, Studentin der Tiermedizin, und PD Dr. Andreas Palzer, Schweinepraktiker und bpt- Präsidiumsmitglied. Moderiert wurde die einstündige Diskussion von Heiko Färber, dem Geschäftsführer des bpt.
Dabei wurden folgende Gründe für die Notdienstproblematik identifiziert:

Rund 25% der Uniabsolventinnen und -absolventen kommen niemals in der kurativen Praxis an. Ein weiterer Teil kommt nach der Baby-Pause nicht zurück

Der ländliche Raum und strukturschwache Regionen sind für junge Tierärztinnen und Tierärzte wenig attraktiv

„Wir bilden an den Universitäten ausreichend Tierärztinnen und Tierärzte aus, aber in der Praxis kommen zu wenig an“, so Moder.

Eine Möglichkeit, mehr angehende Tierärztinnen und Tierärzte für die Nutztierpraxis zu begeistern, sieht Palzer in der stärkeren Einbindung von erfahrenen und motivierten Praktikern in die Ausbildung. In der Vergangenheit sie es versäumt worden, „für die Nutztierpraxis und den tollen Beruf Werbung zu machen“. Dies gelte sowohl vor dem Studium als auch im Studium. Stattdessen werde „uns in der Uni eher vermittelt, die Gemischtpraxis ist ein Auslaufmodell und die Spezialisierung die Zukunft“, so Dahlmann. Dass Erfahrungen in der Gemischtpraxis aber auch für andere Tätigkeitsgebiete von Vorteil sind, weiß Iris Fuchs: „Auch für die Arbeit auf dem Amt wäre eine mehrjährige Erfahrung in der Gemischtpraxis von großem Vorteil.“

Aufgrund des recht hohen Durchschnittsalters der Nutztierpraktiker von inzwischen 59 Jahren wird mittelfristig mit einer weiteren Verschärfung der Situation gerechnet, wodurch es zu echten „Versorgungsengpässen“ von Nutztieren, aber auch von Pferden und Haustieren kommen kann, da der Halter unter Umständen weite Strecken bis zum nächsten Notdienst zurücklegen muss. „Dies kann im Falle einer Kolik beim Pferd oder einer Magendrehung beim Hund lebensbedrohlich sein und ist somit tierschutzrelevant“, sagte Moder.

Tierhalter sind zumeist nicht bereit, Mehrkosten für den Notdienst zu leisten. Damit ist der Notdienst für viele Praxen unwirtschaftlich

Der bpt hat einmal durchgerechnet, was die Bereitstellung eines 24- stündigen Bereitschaftsdienstes an sieben Tagen die Woche an Kosten verursacht bzw. wie hoch die durch diesen Service generierten Mehreinnahmen sein müssen, damit sich dieser Service rechnet: Demnach muss eine Klinik/Praxis rund 130 Stunden pro Woche an Mehrarbeitszeiten abdecken. Dadurch entsteht ein zusätzlicher Personalaufwand von rund 60.000 Euro pro Monat bei einfacher Teambesetzung, die durch diesen Service erwirtschaftet werden müssen. Die hohen Mehrkosten sind ein Grund, dass immer mehr Kliniken ihren Klinikstatus zurückgeben, um der Pflicht des 24/7-Bereitschaftsdienstes zu umgehen.

Für den tierärztlichen Beruf und die Motivation, langfristig in der kurativen Praxis tätig zu sein, ist es zwingend notwendig, sich die tierärztliche Leistung angemessen bezahlen zu lassen. Dies gilt sowohl für die Behandlung von Haustieren sowie von Nutztieren. Nur so können auch auskömmliche Gehälter gezahlt werden. Dazu bedarf es jedoch auch einer größeren Wertschätzung der Leistung des Tierarztes durch den Halter sowie durch den Verbraucher, damit der Landwirt auch in der Lage ist, die tierärztliche Leistung angemessen zu bezahlen.

Für einen finanziellen Ausgleich für Tierärztinnen und Tierärzte, die einen Notdienst anbieten, soll jetzt die neue Notdienst-Gebührenordnung sorgen, durch die das Abrechnen einer Notdienstgebühr (50 Euro) verpflichtend sowie die Abrechnung des 2- bis 4-fachen Satzes für erbrachte Leistungen ermöglicht wird.

„Ab dem 21.4.2021 wird die Bestandsbetreuung für Rinder haltende Betriebe zur Pflicht. In dem Zusammenhang fordert Vogel, dass der Notdienst auf Betrieben von den sie betreuenden Tierärzten übernommen wird.

Arbeitszeitgesetz und der vermehrten Wunsch nach Teilzeitstellen erschweren den Praxisbetrieb und Notdienste zusätzlich

Es ist der zunehmende Personalmangel, vor allem in ländlichen Regionen sowie das starre deutsche Arbeitszeitgesetz, das u. a. eine tägliche Höchstarbeitszeit von 8 Stunden pro Tag mit maximal 48 Stunden pro Woche und eine verpflichtende Ruhezeit von mindestens 11 Stunden pro Tag am Stück festlegt. Bereitschaftsdienste müssen dabei auf die genannte Höchstarbeitszeit angerechnet werden. Nur wenige Klinken sind in der Lage, genügend Personal zu beschäftigen und die hohen Zusatzkosten zu stemmen. Dies gelingt meist nur in Ballungsräumen.

Die Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes von der Tagesarbeitszeit hin zur Wochenarbeitszeit würde schon neue Möglichkeiten eröffnen, betonte Moder. „Könnten angestellte Tierärzte dann Bereitschaftsdienste übernehmen und müssten beispielsweise nur neun oder zehn Stunden Ruhezeit statt der derzeit geltenden elf Stunden zwischen zwei Arbeitstagen einhalten, wäre das ein weiterer Schritt in die richtige Richtung“, findet auch bpt- Geschäftsführer Heiko Färber. Dies sollte selbstverständlich stets im Einvernehmen geschehen.

Außerdem ist seit vielen Jahren der wachsende Wunsch nach einer Teilzeitbeschäftigung zu beobachten, um Familie und Beruf miteinander zu vereinen. Daher muss dringend nach neuen Arbeitszeitmodellen gesucht werden, die sowohl ein Familienleben als auch die Versorgung der Tiere außerhalb der normalen Praxiszeiten erlauben. An dieser Stelle sind zum Wohle der Tiere und des Tierschutzes die Arbeitgeber, aber auch die Arbeitnehmer gefragt, aufeinander zuzugehen und Lösungen zu finden.

Dr. Julia Henning
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Ausstiegsprogramme aus der Nutztierhaltung

Die EU hat ein riesiges Ausstiegsprogramm von knapp 1,5 Milliarden Euro für Tierhaltende in den Niederlanden genehmigt, um die Stickstofflast zu verringern. Irland will 200.000 Kühe für den Klimaschutz keulen und die Landwirt:innen entschädigen.
Unterstützen Sie solche Ausstiegsprogramme für weniger Nutztierhaltung?

Ja, für Umwelt und Klima.
Ja, für weniger Massentierhaltung und mehr Tierwohl.
Ja, da es ohnehin (bald) nicht mehr genügend Nutztierärzt:innen gibt.
Nein, das ist der falsche Weg, der Markt regelt es.
Nein, man sollte das Geld besser in den Umbau der Tierhaltung investieren.
Nein, das bringt alles nichts, ist reine Ideologie und Wahlkampftaktik.
Darüber weiß ich zu wenig, daher habe ich keine Meinung.